Ihre Tochter Miriam erzählte Gisela, dass das Hirn bei jedem Verstehen des Wortes Hammer eben jene Bewegung simuliere, die die Hand mache, um den Nagel in die Wand zu schlagen. Die Synapsen schlügen probeweise zu, um zu verstehen, worum es gerade gehe. Sie schlügen zu, bremsten den Impuls aber gleich wieder ab, sodass der Arm von der Simulation seiner Bewegung im Raum nie erfahre. So, sagte Miriam, gehe es mit dem Verstehen aller Worte körperbezogener Bedeutungsfelder.
(Ausschnitt aus "Gisela liest den Hegel ihrer Tochter Miriam")
Hier und da zitiert Kojève Hegel. Er schreibt aber nicht einfach ein Stück ab und sagt hinterher, was es bedeutet. Nein, Kojève baut in die Hegelzitate lauter kleine Ergänzungen ein, mitten in Hegels Sätze fügt er seine Worte, die sich in Hegels Satzbau schmiegen: Zuordnungen und Verdeutlichungen und Erklärungen. [ … ] Hegels Text wird mit ihnen voller und runder und glatter, sodass Kati darüber hinweglesen kann, ohne dass etwas zu sehr kratzt oder hervorstakt.
(Ausschnitt aus "Endlich liest Kati Alexandre Kojève")
Boris liest weiter und spürt die Reste der Aufhebungen nun überall im Text. [ … ] Es kommt ihm so vor, als ginge in Hegels Aufhebungen nicht nur etwas nicht zu Ende, sondern als begänne auch dauernd etwas in den Resten, ohne dass Boris sagen könnte, was eigentlich. Als setze Hegels Text ständig etwas Neues in Gang, das – falls Hegel es genauer überdächte – wieder etwas bislang selbst von Hegel noch nicht Gedachtes, Neues in Gang setzen würde.
(Ausschnitt aus "Boris liest etwas, das nicht aufgeht, und schaut ›House of Cards‹.")
Sven versucht zu verstehen, wie Hegels Grundfigur funktioniert: Etwas faltet sich auf und zwar indem es
sich in etwas Gegensätzliches, Anderes umfaltet, dabei irre Muster werfend – sich fein verästelnd, mandelbrotartig. Während dieser Bewegung durchläuft dieses Etwas eine Geschichte und erreicht eine andere Ebene.Sven nimmt ein zartes, organisches Gewebe wahr, das unentwegt danach strebt, sich entfaltend auszubreiten und zugleich in einen neuen Nullpunkt zurückzuschlagen.
(Ausschnitt aus "Sven denkt in Denkfiguren")
Und nun sagt Butler, dass sogar die Sätze, in denen auf den ersten Blick eine feste Konstellation abgebildet sei, als zyklische Bewegung gelesen werden sollten. Dann ist in diesem Text wirklich gar nichts fest, alles bewegt sich und zwar zugleich auf mehreren, sich gegenseitig beeinflussenden Ebenen. Der ganze Schaum liegt nicht einfach still herum, er schäumt unentwegt gegen sich selbst, er fließt, soweit Schaum eben fließen kann,30 und bildet ein wildes Schaummeer von Bedeutung, in dem alles in Bewegung ist. Dana ist baff.
(Ausschnitt aus "Hegel verblüfft Judith Butler, Judith Butler verblüfft Dana")
Hegel zu lesen bedeutet – mehr als das Lesen jeder anderen Philosoph*in – zu sehen und nicht zu sehen. Der Text steht uns vor Augen, doch seine Systematizität verbirgt zunächst seine Bedeutung, da der spekulative Inhalt zugleich noch nicht da und schon angekommen ist.
(Catherine Malabou: The Future of Hegel: Plasticity, Temporality and Dialectic (übersetzung V. Reichl)
Immer wieder erzwingt die Phänomenologie unseren Glauben an eine ontologische Szene, an ein Bild davon, wie die Welt ist, und wo das Absolute zu finden ist, nur um dieses Bild schließlich als systematisch induzierte Täuschung zu enthüllen.
(Judith Butler: Subjects of Desire: Hegelian Reflections inTwentieth-Century France)
Man muß, wie immer auch provisorisch, gegenwärtig haben, worauf Hegel jeweils hinaus will; ihn gleichsam von rückw.rts aufhellen. Er verlangt objektiv, nicht bloß, um den Lesenden an die Sache zu gewöhnen, die mehrfache Lektüre.
(Theodor W. Adorno: Drei Studien zu Hegel)